Home Region Sport Magazin Schweiz/Ausland Agenda
Kanton SG
16.06.2023

Franziska Cavelti Häller zur Sommersession: "Ist dieser Kanton reformunfähig?"

Bild: wil24.ch
Vom 12. bis 14. Juni trafen sich die Mitglieder des St. Galler Kantonsrats zur sogenannten Sommersession. Was beschäftigte das Parlament und die Regierung und was wurde an diesen drei Tagen entschieden? Kantonsrätin Franziska Cavelti Häller, Jonschwil, erläuterte tagesaktuell das Wichtigste aus ihrer Sicht.

Der dritte Sessionstag - 14. Juni 2023: "Ist dieser Kanton reformunfähig?"

Der Sessionstag beginnt – ganz im Gedenken zum Frauenstreiktag – mit einem Frauenzmorge in der «Denkbar», organisiert von der Frauenzentrale St. Gallen. Dies ist eine wunderbare Gelegenheit, sich über die Fraktionen hinweg auszutauschen. Vor Beginn, um 08.30 Uhr, verteilten die Frauen der Grünen Partei pinkfarbige Schoggiherzli. Eine sympathische Geste, um auf den besonderen Tag für die Frauen aufmerksam zu machen.

Machtpolitik vom Feinsten
Der Kanton St. Gallen verliert immer mehr den Anschluss. Dies zeigt sich nicht zuletzt in der Arbeitsweise dieses Parlaments. Während andere Kantonsparlamente einen viel kürzeren Sitzungs-Rhythmus pflegen – auch um dem Anspruch der Aktualität gerecht zu werden – tagt der St. Galler Kantonsrat nur viermal pro Jahr, während jeweils zweieinhalb Tagen. Von einer zeitnahen Behandlung der Vorstösse ist man weit entfernt, die Vorlagen stauen sich mehr und mehr. Die personelle Zusammensetzung der Kommissionen bildet nicht die Kräfteverhältnisse im Parlament ab. Themen wie die Reduktion der Fraktionsmindestgrösse, die Kommissionsgrösse, die Zeichnungsberechtigung von Vorstössen von fraktionslosen Mitgliedern oder die Bildung von Fachkommissionen anstelle von adhoc-Kommissionen bleiben weiterhin ausgeklammert. Kleinere Parteien sind benachteiligt; Protokolle bleiben unter Verschluss. Die Mehrheit aus FDP, Die Mitte und SVP verweigern sich der Diskussion; Anträge wurden ohne Debatte abgeschmettert. Damit werden dringend notwendige Reformen verunmöglicht und der ineffiziente Ratsbetrieb wird zementiert. Es fallen Voten wie «wir diskutieren nicht, wir entscheiden!». Machtpolitik vom Feinsten. Das Parlament bleibt damit bis auf weiteres im Schneckentempo unterwegs.

Ein neues Gesetz für die Uni
Die Universität St. Gallen ist ein Leuchtturm in der schweizerischen Bildungslandschaft. Umso mehr sind die Vorkommnisse der letzten Monate rund um die Universität ein grosses Ärgernis. Das neue Universitätsgesetz wurde an mehreren Kommissionstagen während über 24 Stunden intensiv beraten. Trotzdem liegen dem Kantonsrat nicht weniger als 16 individuelle Vorstösse vor, über die jeweils einzeln debattiert und abgestimmt werden muss. Das neue Universitätsgesetz, welches die Verantwortlichkeiten und Kompetenzen klarer regeln soll, kommt deshalb zum richtigen Zeitpunkt aufs Tapet. Die Governance der HSG soll gestärkt werden, indem die Aufgaben der einzelnen Organe, die personelle und finanzielle Führung sowie die Rechtspflege entflochten und ihre Rollen geklärt sind. All dies soll helfen, zukünftig Skandale zu vermeiden oder diese zumindest frühzeitig zu erkennen und zu lösen.

Die Anträge sind vielfältig (Auszug):
- Die vorberatende Kommission beantragte in den allgemeinen Bestimmungen die Streichung der «Chancengerechtigkeit und die Beseitigung von Diskriminierung». Die Ratsmehrheit befand, dass Chancengerechtigkeit und Nichtdiskriminierung zwar selbstverständlich sind, aber die Verankerung im Gesetz für eine Bildungsinstitution essentiell ist. Der Antrag wird angenommen.
- Grosser Diskussionsbedarf besteht beim Wahlkörper für den Universitätsrat und für das Präsidium. Früher wählte der Kantonsrat die Mitglieder des Unirates. SVP und SP – eine spezielle Verbindung – wollten diese Wahlmöglichkeit nicht aus der Hand geben. Sie unterlag mit diesem Ansinnen aber einer geschlossen Die Mitte-EVP-FDP-GLP-Allianz. Es ist richtig, dass jenes Gremium, welches den Auswahlprozess steuert, schlussendlich auch die Wahl vornimmt.
- Der Universitätsrat soll entpolitisiert werden, d.h. die Mitglieder werden aus Vertretungen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft zusammengesetzt. Die Politik soll keine tragende Rolle mehr spielen. Der Antrag der SP sieht nun vor, dass das Expertengremium durch eine Vertretung aus der Politik ergänzt wird. Der Antrag wird abgelehnt.
- Die Ratsmehrheit befürwortet eine Amtszeitbeschränkung von 12 Jahren und eine Altersbeschränkung von 70 Jahren. Trotz flammender Rede der SVP-Vertreterin, dass 70-jährige noch fit sind, lehnt der Rat den SVP-Antrag entsprechend ab.
- Die Entscheidungen in der Universität werden im Senat und im Senatsausschuss gefällt. Bis anhin bestanden beiden Gremien zu 60% aus den Professoren und zu 40% aus Vertretungen aus Fortgeschrittenen Forschenden und Lehrenden, Studierenden, Doktorierenden und des administrativen-wissenschaftlichen Personals. Der Antrag der SP-Grüne-GLP sah die Stärkung dieses sogenannten «Mittelbaus» vor, da dieser den Löwenanteil der Lehre und der Forschung verantworten. Bildungschef Stefan Kölliker appellierte, diese Austarierung der Vertretungen nicht anzugreifen. Aus seiner Sicht ist der sogenannte «Mittelbau», immerhin 1 500 Mitarbeitende, angemessen vertreten. Zu später Stunden wird entschieden, den Antrag auf Stärkung des «Mittelbaus» abzulehnen und ggf. anlässlich der zweiten Lesung im Herbst nochmals darüber zu befinden.
- Die SP beantragte, die Möglichkeit einer Co-Leitung im Rektorat zu schaffen. Dies hätte allenfalls das Feld der möglichen Bewerbungen vergrössern können und hätte dem Wahlkörper die Option offengelassen, bei allfälliger Eignung eine Co-Leitung zu installieren. Die Argumentation der SP-Sprecherin war so feministisch geprägt, dass dies die Mehrheit des Rates abschreckte. Die Ablehnung des Antrages, welcher eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, war die Folge davon.
Der Rat ist langsam müde, die Diskussionen erschöpfen sich. 

Die Session geht mit den Schlussabstimmungen zu Ende. Es war die erste Session, die sowohl im Präsidium wie im Vizepräsidium von zwei Frauen geleitet wurde. Ein schönes Symbol am Tag des Frauenstreiks.

Der zweite Sessionstag - 13. Juni 2023: "Es wird hitzig"

Der Rat berät die SP-Initiative für einen St. Galler Klimafonds und den Gegenvorschlag der Regierung und die Anpassungen der vorberatenden Kommission. Es ist nicht ganz einfach. Die SP fordert einen Fonds von CHF 100 Mio. Die Mittel sollen verwendet werden für:
– den Ersatz von fossilen Heizanlagen durch klimaneutrale Anlagen und die energetische Sanierung von Gebäudehüllen;
– den Ausbau der Stromgewinnung durch erneuerbare Energien wie Photovoltaik, Windkraft und Biomasse;
– gezielte Massnahmen zur Energieverbrauchsreduktion.

Die Regierung hat der Initiative einen Gegenvorschlag gegenübergestellt und beantragt, CHF 59 Mio. als Sonderkredit zu beschliessen. Mit dem Gegenvorschlag wird die Energieförderung bis ins Jahr 2030 gesichert. Die Finanzierung erfolgt über das bewährte Instrument des Sonderkredits. Die Notwendigkeit zum Handeln ist im Rat unbestritten.

Aus den Berichten der IPCC, also des Weltklimarates, geht unmissverständlich hervor, dass der notwendige Umbau der Infrastruktur in den Sektoren Energieerzeugung, Industrie, Privathaushalte, Verkehr und Landwirtschaft in einem «noch nie da gewesen» Tempo geschehen muss, will man die bereits spürbare Erderwärmung auf 1.5 Grad beschränken. Vor diesem Hintergrund ist es richtig, zusätzliche Gelder für die Energiewende bereitzustellen. Gestritten wird über die Höhe und über die Finanzierungsart. Die Mitte, FDP und SVP setzen sich erwartungsgemäss durch – die Initiative wird nicht unterstützt. Somit stehen nicht CHF 100 Mio. zur Verfügung, sondern allenfalls CHF 59 Mio. Jetzt steht der Gegenvorschlag der Regierung zur Debatte:
- Die SVP möchte den Sonderkredit von CHF 59 Mio. ausschliesslich für die Wasserkraft und die Biomasse einsetzen. Die Regierung führt aus, dass der Ausbau der Wasserkraft im Kanton begrenzt ist und der Sonderkredit technologieoffen für erneuerbare Energien und die Gebäudesanierung eingesetzt werden soll. Der SVP-Antrag wird mehrheitlich als nicht zielführend beurteilt. Diese CHF 59 Mio. für die Wasserkraft kämen allenfalls einem einzigen Stromunternehmen zugute und wäre zudem für die Realisierung eines Projektes einen «Tropfen auf einen heissen Stein». Die Bevölkerung würde leer ausgehen.
- Die vorberatende Kommission möchte für die Förderung des Ersatzes von fossilen Heizsystemen weniger Mittel aufwenden und dies, obwohl bei Mehrfamilienhäusern der Nachholbedarf gross ist. Der Kanton St. Gallen steht im schweizweiten Vergleich nicht gut da. Es sollen mehr Mittel für Innovation zur Verfügung stehen.
- Der Gegenvorschlag der Regierung möchte weiterhin Mittel für den Umbau von fossilen Heizsystemen sprechen können.

KR Dobler aus Oberuzwil stellt zurecht fest, dass seit 30 Jahren an der Gebäudetechnik «gebastelt» wird. Wir müssten weniger Strom verbrauchen und allenfalls halt auch mal verzichten. Ein richtiges Votum, wenn auch unpopulär. Walter Locher, FDP und Präsident des Hauseigentümerverbandes, stellt in seinem Votum die Notwendigkeit von neuen Atomkraftwerken in den Raum. Dieses Votum ruft Thomas Schwager auf den Plan, den Geschäftsführers des Mieterverbandes und Grüner Kantonsrat. Er zitiert Beispiele von neuen AKWs aus Frankreich und Finnland. An beiden Orten sind die Kosten über CHF 10 Mia. und die zeitliche Verzögerung belief sich in beiden Fällen auf über 10 Jahre. GLP-Kantonsrat Andrin Monstein wies auf die Nichtversicherbarkeit von AKWs hin. Die Diskussion driftet ab. Kantonsrat Dudli, SVP Oberbüren, beklagt, dass die Behörden kein Wasserkraftwerk Felsegg in Henau umsetzen möchten. Die Begründung dazu gibt ihm Daniel Bosshart, Kantonsrat der Grünen. In der Felsegg gibt es Auengebiete von nationalem Interesse. «Die Auengebiete sind insgesamt um 80% zurückgegangen», erwidert Kantonsrat Bossart. Also ein Grund mehr, diese zu schützen.

Das Schlusswort hat Frau Regierungsrätin Hartmann. Sie weist darauf hin, dass bereits vieles auf gutem Wege ist. Beim Bund sind Grosssolaranlagen in den Bergen und der gezielte Ausbau von Wasserkraftwerken geplant; der Kanton St. Gallen hat zahlreiche Windkraftanlagen geplant. Zudem stellt sie klar, dass im Kanton St. Gallen schlicht die Wassermenge fehlt, um weitere Wasserkraftanlagen zu bauen. Einzig, so die Regierungsrätin weiter, wäre am Ellhorn in Sargans ein Wasserkraftwerk möglich. Dies ist aber aufgrund der Bundesgesetzgebung zum Auenschutz nicht möglich. Gut so! Am Schluss sind die Abstimmungsergebnisse klar. Der Rat übernimmt den Antrag der vorberatenden Kommission.

Ein Defizit für die Glaubwürdigkeit des Finanzchefs?
Die Rechnung steht für 2022 mit CHF 227 Mio. deutlich besser da als budgetiert und das verwendbare Eigenkapital ist auf rund CHF 1,5 Mia. angestiegen. Es ist nicht verwunderlich, dass sich der Rat von links bis rechts in der Beurteilung einig ist. Interessant ist somit der Ausblick, den Finanzchef Marc Mächler ins laufende Jahr und in die Zukunft wirft. 2023 wird mit grösster Wahrscheinlichkeit auch aufgrund der ausbleibenden Nationalbankgelder ein beachtliches Defizit ausweisen. Die wirtschaftlichen Unsicherheiten bleiben gross: fragile Sicherheitslage und drohende Rezession in Europa, Inflation, wenn auch mit 2.2% in der Schweiz eher moderat und die unsichere Entwicklung der Strompreise im Winter. Der Finanzchef mahnt den Rat, dass die fetten Jahre vorbei seien und ergänzt, dass es allenfalls für die Glaubwürdigkeit des Finanzchefs besser wäre, wenn 2023 ein kleines Defizit resultieren würde. Die Rechnung 2022 wird einstimmig genehmigt.

Kurz vor Ende des zweiten Sessionstages kann der Kantonsrat mit der Genehmigung des Nachtragskredites für die Sanierung der Kantonsschule Sargans ein jahreslanges Trauerspiel beenden. Fünf Jahre lang war der Bau wegen eines Rechtsstreits blockiert. Aufgrund der langen Verzögerung sind Mehrkosten von CHF 7,5 Mio. entstanden, welche der Rat bewilligte.

Der zweite Sessionstag endet bereits um 15.40 Uhr, um die Feier der neu gewählten Kantonsratspräsidentin an ihrem Wohnort in Thal zu begehen. Morgen Mittwoch geht es weiter mit dem Geschäftsreglement und dem neuen Universitätsgesetz.

Der erste Sessionstag - 12. Juni 2023: "Warmlaufen"

Um 14.00 Uhr treffen sich die Kantonsrätinnen und Kantonsräte nach der langen Pause – das Parlament tagte seit Februar nicht mehr — zur Sommersession. Das Geschäftsverzeichnis der Session führt nicht weniger als 13 Wahlgeschäfte, 18 Geschäfte zur Gesetzgebung, elf Verwaltungsgeschäfte, einen Bericht zum Richtplan, sieben Standesbegehren, 12 Motionen, 78 Interpellationen, fünf Berichte sowie vier dringliche Interpellationen auf. Geschätzte Leserin, geschätzter Leser, ich brauche kein Prophet zu sein, um bereits nach dem ersten Sessionsnachmittag feststellen zu können, dass wir nicht in der Lage sein werden, diese beratungsreifen Geschäfte zu behandeln. Der Kantonsrat hat einen eigentlichen Beratungsstau. Während andere Kantonsparlamente einen viel kürzeren Sitzungsrhythmus pflegen, auch um dem Anspruch der Aktualität gerecht zu werden, tagt der St. Galler Kantonsrat nur viermal pro Jahr, während jeweils zweieinhalb Tagen. Wir verlieren immer mehr den Anschluss.

Zu Beginn der Juni-Session wurden zwei neue Ratsmitglieder vereidigt: Florian Kobler, SP Gossau, vertritt den Wahlkreis St. Gallen und Pascal Frommenwiler, SVP Niederbüren, den Wahlkreis Wil. Der abtretende Kantonsratspräsident, Jens Jäger von der FDP, wurde nach seiner humorvollen Rede mit Applaus verabschiedet und Andrea Schöb, SP-Kantonsrätin aus Thal, zur neuen Kantonsratspräsidentin gewählt. Sie wird bis zum Ende der Legislatur im Juni 2024 das Präsidium und die Ratstätigkeit führen. Als Vizepräsidentin wurde die Vertreterin der Die Mitte, Barbara Dürr, gewählt.

Der erste Sessionsnachmittag war unter anderem dem Bericht der Staatswirtschaftlichen Kommission, dem Geschäftsbericht der Regierung und dem Bericht zum Datenschutz gewidmet. Die Diskussion wurde rege genutzt und die Zeit verstrich. Eigentlich waren so gewichtige Geschäfte wie der Richtplan, die Einheitsinitiative zum Klimafonds und den Sonderkredit zur Finanzierung der Energieförderung 2024 bis 2030 auf der Tagesordnung. Es kam nicht mehr dazu; diese Geschäfte wurden vertagt.

Kurz vor Feierabend beriet der Rat die Aufstockung von 5 auf 10 Mio. CHF damit mehr Mittel zur Senkung der Drittbetreuungskosten für die Eltern zur Verfügung stehen. Die Vorlage ist wichtig für die Standortattraktivität. Mit besseren ausserfamiliären Betreuungsangeboten und somit einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie leistet der Kanton einen wertvollen Beitrag gegen den Fachkräftemangel. St. Gallen hat grossen Nachholbedarf bzgl. dem Angebot und insbesondere bzgl. den Elterntarifen. Diese zusätzlichen Mittel erlauben es den Gemeinden, das Angebot der familienergänzenden Betreuungsmöglichkeiten auszubauen und/oder die Tarife zu senken. Diese Vorlage ist weitgehend unbestritten und wird problemlos überwiesen.

Ein heisser erster Sessionstag ist zu Ende. Es war erst ein eigentliches Einlaufen für die Session. Wichtige Geschäfte folgen morgen Dienstag und vor allem am Mittwoch.

Franziska Cavelti Häller, Kantonsrätin SG, GLP
Demnächst