Der 3. Sessionstag – Bauen – Stellvertretersystem im Kantonsrat
Der dritte Sessionstag ist gekennzeichnet von zahlreichen Motionen und Standesbegehren aus allen Departementen.
Eine interessante Motion brachten die Jungparteien ein: Stellvertretersystem für abwesende Ratsmitglieder. Abwesenheiten durch Mutter-/Vaterschaft oder durch längere Auslandsaufenthalte sollten mit dem Parteimitglied auf dem ersten Listenersatzplatz kompensiert werden können. Mit dieser Regelung sollte das Milizsystem gestärkt, die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Politik gefördert werden. Die meisten Ratsmitglieder meldeten jedoch Bedenken an. Einerseits ist die Präsenz im Rat sehr hoch, was auf ein geringes Problem hinweist. Andererseits ist mit der Annahme der Wahl in den Kantonsrat ein hohes Mass an Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit gefordert. Ein weiteres Argument bringt Staatssekretär Benedikt van Spyk ein. Das Amt ist mit einer Wahl verbunden und die ersten Ersatzpersonen sind eben NICHT-gewählt. Ein Problem ist jedoch unbestritten. Während der Mutterschaft darf eine Mutter nicht an der Session teilnehmen, wenn sie den Mutterschutz und die Lohnfortzahlung nicht verlieren möchte. Dies ist sehr stossend. Dies bedingt aber eine Änderung der Erwerbsersatzordnung und muss deshalb in Bern gelöst werden. Diese Anpassung der Erwerbsersatzgesetzes auf Bundesebene hat dank der GLP-Nationalrätin Katrin Bertschy anlässlich der September-Session bereits die erste Hürde geschafft. Dies ist der richtige Weg. Die Motion wird nach einer hochemotionalen Debatte, abgelehnt.
Eine Motion der SVP verlangt, die Übernahme von Übersetzungskosten für Schweizer Bürger abzuschaffen. Auf den ersten Blick mag diese Forderung nachvollziehbar sein. Auf den zweiten Blick zeigt sich die Sachlage nicht so klar. Sprachkenntnisse auf Niveau B1, welche für eine Einbürgerung gefordert sind, ermöglichen es oft nicht, schwierige Gespräche auf Ämtern oder vor Gericht zu führen. Damit alle ihre legitimen Rechte adäquat ausüben können, ist eine Übersetzungsunterstützung oft wichtig – dies auch im Sinne einer guten Integration. Das gleiche Recht gilt natürlich auch für Deutschschweizer, die einen Gerichts- oder Amtstermin in der italienischen oder französischen Schweiz wahrnehmen müssen. Der Rat lehnt diese Motion deshalb folgerichtig ab.
Weiter geht es mit Motionen: Der Rat soll die Möglichkeit erhalten, eine Motion für «dringlich» zu erklären, d.h. die Ausarbeitung des entsprechenden Gesetzes soll von drei auf ein Jahr gekürzt werden. Somit hätten die drei grossen Parteien die Möglichkeit, ihre Motionen immer für dringlich zu erklären und andere Motionen zu verzögern. Es ist nicht verwunderlich – die stramme Mehrheit aus SVP-FDP-Die Mitte-EVP drückte diese Motion durch.
Zwei Motionen der SVP, die Windkraftanlagen im Wald verbieten und einen Mindestabstand von 1'000 m für Windkraftanlagen fordern. Ein Mindestabstand von 1000 m zu Siedlungen würde die Windenergie im Kanton faktisch verunmöglichen. Diese Motion ist ein Beschäftigungsprogramm für viele Kantonsparlamente, wurde sie doch in ähnlicher oder gleichlautender Form immer wieder eingereicht und jeweils auch abgelehnt. Somit können zukünftig auch Industriebetriebe zur eigenen Stromproduktion Windräder nicht mehr bauen. Entsprechende Projekte würden abgewürgt. Die Mehrheit des Rates hat, mit Unterstützung einer stark argumentierenden Regierungsrätin Hartmann, die Motion abgelehnt.
Die zweite Motion der SVP, welche Windkraftanlagen im Wald verbieten möchten, aus Gründen des Waldschutzes. Diese Motion weckt auf den ersten Blick viel Sympathie, aber nur auf den ersten Blick. Wald steht bereits heute unter besonderem Schutz und eine sorgfältige Abwägung zwischen Schutz- und Nutzungsinteressen wird vor Bewilligung jedes Eingriffes in den Wald entsprechend sorgfältig vorgenommen. Zudem muss gerodeter Wald an einer anderen Stelle wieder aufgeforstet werden. Auch diese Motion findet kein Gehör im Rat.
Nach der Mittagspause geht es weiter mit Motionen aus dem Gesundheitsdepartement. So fordert die SP eine feste Vertretung der Regierung im Verwaltungsrat der Spitalverbunde. Die grossen strukturellen und finanziellen Probleme der Spitalverbunde werden von allen anerkannt. Die Steuerung der Spitäler soll aber, so die Mehrheitsmeinung, über einen griffigen Leistungsauftrag erfolgen. Auch die Einsitznahme der Zürcher Regierung im Verwaltungsrat der Swissair konnte das Debakel nicht verhindern. Bruno Damann erklärte, dass der Kanton seine Aufsichtspflicht im Sinne der Sicherstellung der Gesundheitsversorgung sehr wohl wahrnehme. Die Einsitznahme eines Regierungsrates verletze aber die Gouvernance. Die Mehrheit des Rates folgt deshalb der Argumentation, dass der Verwaltungsrat nicht nach politischen, sondern nach fachlichen Kriterien zusammengesetzt werden soll und lehnt den Antrag ab.
Demokratiepolitisch bedeutsam ist die Motion «Jede Stimme zählt: Einführung eines gerechteren Sitzzuteilungsverfahrens». Gemäss dem aktuellen Wahlverfahren nach «Hagenbach-Bischof» braucht es beispielsweise im Wahlkreis St. Gallen 3% der Stimmen für einen Sitz; im Wahlkreis Rorschach braucht es dagegen ca. 8% der Wählerstimmen für einen Sitz im Kantonsparlament. Ist dies gerecht? Stimmt es, dass jede Stimme zählt, wie wir meinen? Das aktuelle Wahlsystem bevorzugt die grossen Parteien und benachteiligt kleine Parteien. Diese Tatsache ist unbestritten. Das mit der Motion neu vorgeschlagene Wahlsystem mit dem «doppelten Proporz», wie es der Kanton Zürich kennt, würde sicherstellen, dass auch die Stimmen für kleinere Parteien angemessen berücksichtigt werden, also ganz nach dem Motto «jede Stimme zählt wirklich.» Das Ergebnis der Debatte dürfte kaum erstaunen, die grossen Parteien verteidigen ihre Pfründe und lehnen die Motion ab
Die Wintersession endet pünktlich um 17:00 Uhr. Die Ratspräsidentin Andrea Schöb verabschiedet zum Schluss die zurückgetretene Ratskollegin Caroline Bartolet-Schwerzmann (FDP) und die zurückgetretenen Ratskollegen Joel Müller (SP, er hat seine Arbeit im Rat nie aufnehmen können), Christian Rüegg (SVP) und Walter Gartmann (SVP) mit humorvollen Worten.