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Stadt Gossau
29.02.2024
12.03.2024 14:37 Uhr

Für Wasser als Gemeingut einstehen

Rund 50 Personen kamen zum Vortragsabend "Auf des Wassers Scheide" in der Stadtbibliothek Gossau. Bild: Vanessa Vogt
Am Dienstag, 27. Februar, luden die Stadtwerke und die Stadtbibliothek Gossau zum Vortrag „Auf des Wassers Scheide“: Mathias Plüss und Regina Hügli waren als Experten geladen. Beleuchtet wurde der Umgang mit Wasser als knapper werdender Ressource und inspirierende Projekte im Umkreis der vier europäischen „Triplepunkte“. Wieso Menschen sich gegen Hochwasserschutzbecken wehren, Néstle ‚Wasser-Raubbau‘ betreibt oder Schafe im Ursertal als Helden gefeiert werden: Ein Einblick in „Das Wasserbuch“ und den darauf basierenden Vortrag liefert Antworten.

„Wie gehen wir künftig mit Wasser um, damit es für alle reicht?“, fragte Stadträtin und Departementsvorsteherin ‚Versorgung Sicherheit‘ Claudia Martin in ihrer Begrüssung. Wasser sei allgegenwärtig, die Nutzung selbstverständlich – daher die Frage vielleicht irritierend. „Es ist jedoch wichtig, dass wir uns heute schon damit befassen.“ Im Zuge vom Klimawandel und anhaltenden Trockenperioden sei es essenziell, das Thema Versorgungssicherheit auch in scheinbar wasserreichen Gegenden anzugehen. „Gossau hat dazu, auch als Teil des Netzwerkes Blue Community, mehrere Projekte laufen.“ Unter anderem plane die Stadt den Bau eines Tiefenbrunnens unter dem Gebiet Mooswies. „Das Stadtparlament darf darüber voraussichtlich noch dieses Jahr befinden“, sagt Martin.

Wasser teilen – und verteidigen
Die hohe Relevanz des Themas leitete die Stadtwerke als Organisatorin des Abends auch zur Einladung der Referenten Mathias Plüss und Regina Hügli – beides Experten für Umweltthemen mit mehrjähriger Feldforschung und Recherchen zum Thema Wasser in ganz Europa. „In 2019 starteten wir mit unserem Projekt ‚Wasser teilen‘“, erklärt Hügli. Daraus entstanden sei das Buch, auf dem auch der Vortrag aufgebaut ist, sowie ein Ausstellungszyklus in vier Ländern und mehrere Veranstaltungsreihen in Wien. Beim Thema ging es aber nicht nur um Wasser teilen, sondern vor allem auch um die gemeinsame Nutzung, die Rechte am Wasser und das Einstehen der Bevölkerung für Wasser als Gemeingut, dass nicht ungerecht oder verschwenderisch gehandhabt werden sollte.

Projektentschluss im Engadin
Den Impuls zu den Recherchearbeiten bekam Hügli in 2015 bei einer Expedition zum Lunghiner Pass im Engadin - dem Ursprung der Inn-Quelle, einem wichtigen Alpenfluss und einem von vier Wasserscheidepunkten in Europa. „Eine Wasserscheide ist eine geografische Schwelle, die mehrere Flusseinzugsgebiete voneinander trennt“, erklärt sie. Aber nicht nur das: Auch Ökosysteme, klimatische Veränderungen und der Umgang mit Wasser als Ressource änderten sich an diesen Wasserschwellen. „Der Scheidepunkt im Engadin ist so bedeutend, da die ausgehende Flusssysteme in zwei Meere münden – und nicht nur Flussgrenzen trennen, sondern auch ganze Kulturgrenzen aufzeigen.“ Die Begeisterung für diesen ‚mythologischen und besonderen Landschaftspunkt‘ habe zur Planung des dann folgenden Recherche-Projekts „Wasser teilen“ geführt, welches sie gemeinsam mit Plüss realisierte, der auch schon Teil der Expedition zum Lunghin war.

Proteste gegen Hochwasserbecken
Im Jahr 2019 startete die Recherchereise der beiden Forscher am östlichsten Triplepunkt des europäischen Flusssystems „Klapperstein“. Dieser befindet sich an der Landesgrenze von Polen und Tschechien auf 1‘145 Metern Höhe. Hochwasser seien in der niederschlagsreichen Gegend ein grosses Problem: Dem Umgang mit diesem und das Zusammenspiel von Behörden und Bevölkerung bei Wasserthemen galt der Fokus der Recherchen „Der Zentralstaat Polen hatte den Bau von 16 Hochwasserschutzbecken veranlasst“, erklärt er. Diese hätten hunderte Hektare an Land eingenommen – alles auf Kosten der Bevölkerung mit Umsiedlungen und Landverlust verbunden. „Die Bevölkerung hat dann protestiert – das einzige Mittel, um sich gegen die Bebauung zu wehren.“ Der Kampf wurde gewonnen: „Nur vier der geplanten 16 Becken wurden gebaut: Die Bürger haben den Umgang mit Wasser als Gemeingut forciert – und die Entscheidungen von oben herab unterbinden können.“

Urserental feiert Schafe als Helden
Der zweite Triplepunkt befindet sich in der Gotthardregion zwischen den Kantonsgrenzen Uri, Tessin und Wallis. Ein besonderes Projekt mit Schafen als Retter der Biodiversität zog dort die Aufmerksamkeit der Recherchierenden auf sich. „Die Vernachlässigung der Weiden auf Grund der wachsenden touristischen Nutzung in diesem Gebiet führt zur expansiven Verbreitung der schädlichen Grünerle“, sagt Plüss. Diese braucht zum Überleben sehr viel Wasser und kostet die Region jährlich ½ Million Franken wegen des Wasserverlusts, der ausgeglichen werden muss. „Die Erle ist jedoch ein beharrliches Gewächs, was stärker wiederkommt, wenn man sie zum Beispiel abbrennt.“ Daher kam die Gemeinde auf eine neue Idee: „Schafe knabbern nun die Rinde der Erle ab – und dadurch stirbt diese endgültig ab.“ So können der monetäre Verlust abgeschwächt und die Biodiversität gefördert werden.

Gletscherschmelze aufhalten
Am dritten Triplepunkt in Graubünden erwarteten Plüss und Hügli spannende Einblicke in die Gletscherschmelze. „In der Schweiz wird die Energiegewinnung aus Wasserkraft so stark wie in keinem anderen Land genutzt. Dafür braucht es das vom Berg runterkommende Wasser der Gletscherschmelzen“, erklärt Plüss. Um die Gletscher jedoch langfristig trotz Klimawandel zu konservieren, müsse der Schmelze entgegengewirkt werden. Eines der im Buch vorgestellten Projekte thematisiert das Spannen von Seilen zwischen den Berghängen, die mit Düsen versehen Wasser über den Gletscher regnen lassen, welches dann zu Schnee wird und im Winter den Gletscher mit einer fünf Meter dicken Schneeschicht bedeckt. „Durch diese Schutzschicht kann der Gletscher über die Sommer länger vorm Schmelzen bewahrt werden.“

Ertragsreich trotz Trockenheit
Der vierte Triplepunkt befindet sich im französischen Chateau de Langres – einem stark landwirtschaftlich geprägten, bevölkerungsarmen und flachen Gebiet. Die stärker werdenden Trockenperioden setzen den lokalen Landwirtschaftsbetrieben zu. „Um ertragsarme Monate auszugleichen und Wasser zu sparen, mussten die Bauern ihre Aussaat anpassen“, erklärt Plüss. Die Recherchen auf einem 500 Hektar grossen Bauernhof, der von lediglich drei Personen geführt wird, ergab Bewundernswertes: „Um wettbewerbsfähig zu bleiben, wurde hier die Aussaat von neun anstatt drei Feldfrüchten gewählt. Früchte wie Hanf oder Trockenerbsen benötigen weniger Wasser und wachsen dennoch gut.“ Heute könne der Bauernhof schlechte Erträge durch die Folgefrucht viel besser kompensieren – ein best practice Beispiel, von dem andere Landwirtschaftsbetriebe profitieren könnten.

Néstle klaut Wasser
Ein Beispiel für das Thema Wasserprivatisierung lieferte der Néstle-Skandal in Zusammenhang mit dem Kauf der Grundwasserrechte in Vittel, den Regina Hügli abschliessend anbrachte. „Die Bürger von Vittel wehren sich in einem Kollektiv bis heute gegen den Raubbau, den Néstle mit dem Abpumpen der Quelle bis zur beinahen Auslöschung betreibt.“ Seit den 60er Jahren pumpt der Konzern grösserwerdende Mengen Wasser aus der 1. Quellschicht mit hervorragender Wasserqualität ab - doch diese Schicht kann sich kaum regenerieren.

Boykott erreicht Einhalt
„2019 sank der Grundwasserpegel so stark, dass zur Versorgung der Bürger eine Zuleitung aus einer anderen Quelle gebaut werden sollte - nur damit Néstle weiter pumpen und verkaufen kann.“ Das Bürgerkollektiv richtete sich mit Erfolg an die Medien: Der deutschlandweite Boykott von Vittelwasser führte zum Einknicken der Konzernleitung. „Néstle sicherte zu, bis 2027 nur noch so viel Quellwasser abzupumpen, wie nachlaufen kann“, sagt Hügli.

Buch gibt tieferen Einblick
Alle im Vortrag angerissenen Geschichten sind im Buch „Das Wasserbuch - Überschwemmungen, Dürren, Gletscherschwund. Vier Expeditionen im Herzen Europas.“ zusammengefasst und mit weiteren Projekten und Details ergänzt. „Wichtig ist uns, dass allen Menschen bewusst wird, dass es uns alle gleichermassen trifft“, sagt Hügli abschliessend. „Wasser wird knapper – und wir müssen uns dafür einsetzen, dass es als Gemeingut behandelt wird und nicht über unsere Köpfe hinwegentschieden wird.“ Potenzial sieht Hügli vor allem in der Mehrfachverwendung von Wasser und der verstärkten Nutzung von Regenwasser anstelle von Trinkwasser für bestimmte Bereiche, um Knappheit vorzubeugen.

Von links: Stellvertretend für die Stadtwerke Gossau als Gastgeberin Stadträtin Claudia Martin mit den Referenten Regina Hügli und Mathias Plüss. Bild: Vanessa Vogt
Die Dämmerungsfotografie der Wasserscheide am Wittenwasserenstock. Bild: Vanessa Vogt
Neben Stadträtin Claudia Martin waren auch Stadträtin Helen Alder-Frey, Parlamentspräsident Pascal Fürer und Stadtrat Florin Scherrer am Vortrag anwesend (erste Reihe von links). Bild: Vanessa Vogt
Vanessa Vogt
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