Über 200 Gäste, darunter viele Unternehmer und Gewerbetreibende der Region, nahmen am Forum der St.Galler Kantonalbank (SGKB) teil. Den ersten Teil der Veranstaltung gestalteten Thomas Stucki, Leiter des Investment Centers, und Beat Schiffhauer, Experte für Konjunktur und Finanzen der SGKB. Sie präsentierten ihre Analysen und Einschätzungen zur aktuellen Wirtschaftsentwicklung in der Region Fürstenland.
«Die Schweizerinnen und Schweizer konsumieren – und das ist gut so»
Stucki reflektierte über seine Prognosen für das Jahr 2023, die grösstenteils zutrafen: „Die Inflation sinkt, wenn auch nur langsam. Der Euro fällt auf 95 Rappen. Es gibt eine kurze Konjunkturdelle, gefolgt von einer Erholung.“ Trotz einer späten Delle und entsprechender Verzögerungen bei der Erholung bleibt die Stimmung in der Schweiz positiv. Er betonte, dass aus seiner Sicht die Themen auch im Jahr 2024 nicht wesentlich ändern würden. Der Franken wird voraussichtlich weiter an Stärke gewinnen, möglicherweise auf 92 Rappen gegenüber dem Euro bis zum Jahresende. Die Schweiz wird sich nicht in eine Rezession begeben, sondern eher eine Erholung erleben. Und der starke private Konsum trägt dazu bei – dass es der Schweiz nach wie vor so gut geht. Sinnbildlich dafür: Restaurants sind gut besucht, die Geschäfte sind voll und der Tourismus erfreut sich einer guten Lage. Anschliessend prognostizierte Stucki den Zinsentscheid der Nationalbank vom Donnerstag: Die SNB wird die Leitzinsen vorerst nicht senken, zumindest nicht im Jahr 2024, da die Inflation an der oberen Grenze liegt und die Wirtschaft die Zinssätze weiterhin gut verkraftet.
+++ Update vom 21. März 11.00 Uhr: Überraschung bei der Schweizerischen Nationalbank: Sie senkt den Leitzins doch, und zwar um 0,25 Prozentpunkte – als eine der ersten Nationalbanken. Möglich wurde die Zinssenkung durch die sinkende Teuerungsrate.
Fachkräftemangel: Mal gravierend, mal entspannt
Trotz der vorherrschenden konjunkturellen Herausforderungen betonte Beat Schiffhauer die Zuversicht in der Region Fürstenland. Die Stimmung in Branchen wie der Metallindustrie, Elektronik und dem Maschinen- und Fahrzeugbau hellt sich langsam auf. Von Euphorie sei man jedoch noch weit entfernt, so Schiffhauer weiter. Der Abwärtstrend wurde etwas abgemildert, insbesondere durch die überraschende Widerstandsfähigkeit des Binnenmarktes. Erste Anzeichen einer Erholung sind in Teilen der Industrie erkennbar, der Lagerabbauzyklus sinkt und der Preisdruck nimmt ab. Entspannung gibt es teilweise auch beim Fachkräftemangel – in einigen Industriezweigen gibt es sogar einen Überschuss an Mitarbeitenden, die durch Kurzarbeitsentschädigung gehalten werden können. Im Bau- und Detailhandelssektor bleibt das Problem jedoch akut.
Ausbleiben der Nationalbank-Millionen
Nach den Präsentationen folgte ein Gespräch mit der Moderatorin Sabine Bianchi, in dem Regierungsrat Marc Mächler und René Walser, Geschäftsleitungsmitglied der St.Galler Kantonalbank, die Erkenntnisse sowohl aus wirtschaftlicher als auch politischer Perspektive vertieften. Natürlich wurde Mächler auf den Verlust von 200 Millionen Franken in den Kantonsfinanzen angesprochen, der am Mittwochmorgen veröffentlicht wurde. Nicht überraschend – nach dem Ausbleiben der Nationalbank-Millionen im Jahr 2023. Dank weit höherer Steuereinnahmen als budgetiert konnte das Minus etwas abgefedert werden. Und das Eigenkapital von weit mehr als einer Milliarde lässt auch eines oder zwei schlechtere Jahre zu, so der St.Galler Finanzchef weiter. Es dürfe einfach nicht zur Regelmässigkeit werden.
Neue Weltordnung?
Professorin Claudia Franziska Brühwiler von der Universität St.Gallen analysierte abschliessend die aktuelle und zukünftige Weltordnung und beurteilte, wo diese Vorhersagen zutreffen und wo sie eher unwahrscheinlich sind. Dabei orientierte sie sich an drei gängigen Mythen und einem Problem:
- Der erste Mythos betrifft die Vorstellung, dass China die USA als grösste Volkswirtschaft ablösen wird. Diese Verschiebung verzögert sich, trotz der offensichtlichen demografischen Trends, die darauf seit langem darauf hindeuten. Die Gründe für die verzögerte Machtübernahme liegen vor allem in den internen Dynamiken Chinas. Lange Zeit profitierte das Land von einem enormen Reservoir an kostengünstiger Arbeitskraft, das den Wirtschaftsaufschwung vorantrieb. Mit zunehmendem Wohlstand und stagnierendem Bevölkerungswachstum schwindet jedoch dieser Antrieb. Im Gegensatz dazu verzeichneten die USA eine gegenläufige Entwicklung, verstärkt durch eine robuste Einwanderungspolitik. Zudem sind die Wirtschaftsdaten Chinas oft verzerrt oder geschönt.
- Der zweite Mythos befasst sich mit der Vorstellung einer multipolaren Welt, in der die USA ihre dominante Stellung verloren haben. Weder Russland noch China können den USA auch nur annähernd das Wasser reichen. Es zählt die militärische Stärke der USA, die es ihnen ermöglicht, ihre Macht weltweit auszustrahlen. In vielen Ländern wie Japan und den Philippinen wird diese Macht mittlerweile sogar geschätzt. Und dazu spielt nicht nur die Hard-Power, sondern auch die Soft-Power eine entscheidende Rolle. Die omnipräsente Präsenz der USA im alltäglichen Leben, sei es durch Musik, Kultur, Apps oder Technologie, ist enorm. Die Staaten im Zentrum unseres alltäglichen Lebens.
- Mythos drei bezieht sich auf die Annahme, dass wirtschaftliche und politische Interessen voneinander getrennt werden können. Professor Claudia Franziska Brühwiler betonte, dass diese Trennung nicht möglich ist. Insbesondere die Politik Chinas ist stets von wirtschaftlichen Motiven geprägt und umgekehrt. Unternehmen wie ABB haben bereits am eigenen Leib erfahren, dass politische Entscheidungen nicht mehr ignoriert werden können, wenn es um wirtschaftliches Handeln geht.
Diese drei Mythen führen zu einem Problem: China und die USA möchten wieder auseinandergehen – nach all den Annäherungsversuchen in den letzten Jahrzehnten. Abhängigkeiten abbauen, sich nicht verwundbar machen, nichts mit dem anderen zu tun haben. Das sei vielleicht etwas besorgniserregend, so Brühwiler, doch zum Glück steht Krieg weder bei einem noch beim anderen oben auf der Agenda.
«Horizonte» – eine Veranstaltung, die hochkarätige Themen und Referenten präsentierte, war kurzweilig und sehr informativ. Mit einem abschliessenden Netzwerk-Apéro und angeregten Gesprächen endete der Abend im Stadtsaal Wil.