Zwischen der Deutschschweiz und dem Welschland gibt es den Röstigraben. Er definiert sich über die unterschiedliche Sprache und Mentalität dies- und jenseits. Nach Eidgenössischen Abstimmungen wird oft der Stadt-Land-Graben als Erklärung bemüht, wenn sich die städtisch geprägten Kantone nicht gegen die Land-Kantone durchsetzen können – oder umgekehrt. Röstigraben und Stadt-Land-Furche lassen uns Gossauerinnen und Gossauer ziemlich kalt. Was uns bewegt ist vielmehr der Glatt-Graben zwischen unserer Stadt und der Gemeinde Flawil. Nur wenige Kilometer entfernt und nur durch ein unscheinbares Flüsschen getrennt, unterscheiden sich die beiden Ortschaften in vielen Dingen - und zwar massiv. Gossau ist eine Stadt, Flawil trotz über 10'000 Einwohnern ein Dorf. Die Gossauerinnen und Gossauer gelten als eher verschlossen und wortkarg, die Flawilerinnen und Flawiler als sehr offen und freundlich. Gossau gehört zum Bezirk St.Gallen, Flawil ist Teil des Untertoggenburgs. Gossau hat ein Parlament, Flawil die Bürgerversammlung. In Gossau hat die SVP das Sagen, in Flawil regiert ein Gemisch aus SP, Mitte, FDP und Parteilosen. Gossau ist dominant katholisch, Flawil reformiert-katholisch-konfessionslos ausgeglichen. Gossauerinnen und Gossauer gehen fürs Shoppen nach St.Gallen, die Flawilerinnen und Flawiler eher nach Wil oder sogar nach Zürich. Grundsätzlich gilt: Flawil schaut nach Westen, Gossau nach Osten und Süden.
Ich stelle zusammenfassend fest: Flawil und Gossau sind äusserst unterschiedlich und gefühlt viel weiter auseinander als es ein Blick auf die Landkarte zeigt. Und so erstaunt es mich um so mehr, wenn der einzig verbliebene Gossauer Buchhändler verkündet, er zügle seine Gutenberg-Buchhandlung von Gossau nach Flawil in die Nähe des Bahnhofs. Die Gossauer Kundschaft finde «mit Sicherheit» den Weg nach Flawil. Glaubt er und ist zuversichtlich. Ist aber sicher eine Herausforderung. Weil: Obwohl es von Gossau nach Flawil gefühlt aufwärts geht, liegt der Bahnhof von Flawil auf 610 m.ü.M, derjenige von Gossau auf 638 m.ü.M. Und es gibt wohl auch "stolze Gossauer oder stolze Gossauerinnen", die den Glatt-Graben «nur für ein Buch» nicht auf sich nehmen wollen.
Ein erlebnisreiches, aber zeitlich verkürztes Wochenende wünscht
Drago
"Glatt-Graben"
Kolumne auf Gossau24.
Bild:
jg
"Drache-Füür" vom 28. März 2025.