Kantonsrätin Franziska Cavelti Häller:
Dritter Sessionstag - 15. Februar 2023
Der Kantonsratspräsident Jens Jäger begrüsst den Kantonsrat zu seinem letzten Sessionstrag als Präsident.
Das erste Geschäft betrifft die Berichterstattung der Staatswirtschaftlichen Kommission zur Prüfung des Sachverhalts im Zusammenhang mit den ungerechtfertigten Abgeltungen an die BUS Ostschweiz AG. Auch wenn von den Verantwortlichen des Unternehmens keine persönliche Bereicherung stattgefunden hat, ist das Verhalten nicht korrekt und die zu viel bezogenen Subventionen müssen in vollem Umfang zurückbezahlt werden. Die Regierung hat mit dem Verwaltungsrat der Bus Ostschweiz AG eine Lösung erarbeitet, welche den Regeln der Corporate Governance entspricht; ein Kantonsvertreter im Verwaltungsrat wird zukünftig nicht mehr nötig sein. Die «Stawiko» empfiehlt, trotzdem möglichst rasch das neue Aufsichtskonzept von Bund und Kanton für den öffentlichen Verkehr umzusetzen. Die Aktien an der Bus Ostschweiz AG empfiehlt die Kommission zu veräussern. Der Rat nimmt den Bericht zur Kenntnis.
Herausforderung «Bildung»
Die freitäglichen Klimaproteste der «Fridays for Future» hat die Politik auf den Plan gerufen. Eine Motion verlangte, das Mittelschulgesetz dahingehend anzupassen, dass Klimaproteste während der Schulzeit zukünftig verboten werden sollen. Glücklicherweise hat der Rat rechtzeitig erkannt, dass mit dieser Gesetzesanpassung nicht nur mit «Kanonen auf Spatzen» geschossen wird, sondern damit unseren Jugendlichen ein Grundrecht verwehrt werden würde, nämlich das Recht, sich politisch aktiv zu betätigen. Trotz Protesten aus den Reihen der SVP erkannte die Ratsmehrheit, dass die streikenden Jugendlichen keine Bedrohung für die Schulpflicht darstellen, wurden doch die Absenzen teilweise in doppelter Länge kompensiert. Folgerichtig wurde dieser Nachtrag zum Mittelschulgesetz versenkt. Ein weiterer Nachtrag zum Mittelschulgesetz regelt die Flexibilisierung der Schulferien, damit längere Sprachaufenthalte rechtlich geklärt sind. Der Rat heisst dieses Anliegen gut.
Das Standesbegehren der Die Mitte-EVP-Fraktion fordert die Möglichkeit, dass Absolventinnen und Absolventen der Berufsmittelschule prüfungsfrei an die Pädagogische Hochschule wechseln können. Für einmal gab es keinen Links-Rechts-Graben. Die einen sehen in dieser Massnahme die Möglichkeit, dem Lehrermangel entgegenzuwirken, die andern befürchten eine Qualitätseinbusse bei der Lehrerausbildung. Die Diskussion wurde überaus emotional geführt. Die einen wähnen die Berufslehre und Berufsmaturität diskreditiert, die andern sehen die Ausbildungsqualität in Gefahr. Bildungschef Stefan Kölliker weist darauf hin, dass in Bundesbern bereits eine gleichlautende Motion in Bearbeitung ist. Das Standesbegehren ist somit wie «Wasser in den Rhein» getragen. Die Ratsmehrheit wollte trotzdem nicht von ihrem Kurs abweichen und überwies das unnötige Standesbegehren. So viel zu einem effizienten Ratsbetrieb und gegen Bürokratie.
Eine weitere Motion aus dem Bildungsbereich verlangte das Verbot von Elterntaxis. Auch wenn das Anliegen berechtigt ist, bleibt der Schulweg in der Verantwortung der Eltern und ein Verbot wäre eine Bevormundung der Eltern. Der Rat lehnt folgerichtig die Motion ab. Zudem wird ein Postulat überwiesen, welches die Gründe für den Lehrermangel untersuchen und Lösungsideen vorschlagen soll. Anschliessend werden zahlreiche Interpellationen aus dem Bildungsdepartement bearbeitet. Besonders hervorzuheben ist eine Interpellation, welche die Bewilligung für eine umstrittene Privatschule thematisiert. Auslöser für diese Anfrage war ein Artikel aus dem St. Galler Tagblatt vom 15. Juli 2022 mit dem Titel «Verbindungen zu Neonazis und Reichsbürgern? Der Kanton St. Gallen erteilt rechts-esoterischer Privatschule provisorische Bewilligung». Befremdlich ist die Bewilligung dieser Schule insofern, als dass der Kanton Zürich eine Zulassung abgelehnt hat. Die Antwort der Regierung ist unbefriedigend, weisst sie doch einfach darauf hin, dass «im Rahmen der Verhältnismässigkeit» alles Notwendige unternommen hat. Eine etwas dünne Antwort, geht es doch um nichts mehr als den Schutz unserer Kinder vor gefährlichen Ideologien.
Chancenlose «Energiezulage für Hause mit bescheidenem Budget»
Weiter geht es mit Vorstössen aus dem Departement des Innern. Die Grüne Partei schlägt eine Gesetzesanpassung vor, welche eine «Energiezulage für Haushalte in bescheidenen finanziellen Verhältnissen» vorsieht, um die steigenden Energiekosten abzufedern. Die Auszahlung könnte über das Prämienverbilligungssystem der Krankenversicherung und analog wie bei den wirtschaftlichen Covid-19-Hilfen befristet erfolgen. FDP und SVP nehmen diese Motion zum Anlass, gegen die Energiewende und die vom Volk beschlossene Energiestrategie 2050 zu wettern. Die Motion wird abgelehnt.
Der Fall «Amcor» und seine Folgen
Weiter stehen gleich fünf Standesbegehrten in der Zuständigkeit des Sicherheits- und Justizdepartements auf der Traktandenliste. Das erste Begehren fordert die härtere Bestrafung von Umweltdelikten. Hintergrund dieses Vorstosses ist der Umweltskandal der Firma Amcor aus Goldach. Trotz massivem Fehlverhalten des Unternehmens und einer erheblicher Gewässerverschmutzung liegt die höchstmögliche Busse bei CHF 5’000. Um dies zu ändern, wäre eine Änderung des Verwaltungsstrafrechts auf Bundesebene notwendig. Die Ratsmehrheit verweist auf das Strafrecht, welches eine deutliche höhere Verurteilung ermöglichen würde. Allerdings bedingt dies einen aufwändigen Strafprozess und eine detaillierte Beweisführung. Die SVP versteigt sich gar zur Behauptung, dieses Standesbegehren würde die Wirtschaft unter Generalverdacht stellen. Da eine Verlängerung des Sessionstages um eine Stunde bis 18.00 Uhr abgelehnt wird, muss die Diskussion abgebrochen und das Geschäft auf die Juni-Session vertagt werden. Der unüberlegte Entscheid, die April-Session zu streichen, erweist sich bereits jetzt als Bumerang; zahlreiche Geschäfte werden wieder nicht abgearbeitet.
Nach den Schlussabstimmungen verabschiedet sich Jens Jäger als Kantonsratspräsident. Die Juni-Session wird von Andrea Schöb geleitet werden.